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Wieder zu Hause in Teslin

Sweet home − Mit gemischten Gefühlen fahren wir in Teslin ein. Die Brücke, die Trading Post, der Campground und der Adler sind uns alle so wohlbekannt. Es kommt uns vor, als würden wir nach Hause zurückkehren. Wir freuen uns, wieder hier zu sein und Doug, Birgit und die Kinder zu sehen. Gleichzeitig beschleicht uns ein Gefühl von Traurigkeit. Von hier aus sind wir voller Tatendrang und Entdeckungslust in den Yukon und nach Alaska aufgebrochen. Es kommt uns vor, als wär’s gestern gewesen und nun liegt es bereits hinter uns. Kaum zu glauben, dass seither zwei Monate vergangen sind.

Man sieht es sofort. Doug hat fleissig am Haus weitergearbeitet. Der obere Stock hat Wände und ein Dach bekommen. Bei unserer Ankunft sind Josh und Doug daran ein paar Balken zu streichen. Sobald wir auftauchen, machen sie jedoch Feierabend. Im Hause der Martens hat sich nicht viel verändert. Die Küche und die Stube sind gemütlich wie eh und je und laden zum Verweilen ein. Doug kocht eine Infusion (Tee), Kit unterhält die ganze Gesellschaft und Aiyana beschlagnahmt Lulu zum Spielen, nachdem sie ihre anfängliche Zurückhaltung abgelegt hat. Einzig Birgit fehlt. Sie ist in Whitehorse, wo sie morgen eine Freundin aus Deutschland an den Flughafen bringt.

 

Deutsche Küche − Am anderen Tag nimmt Doug Aiyana und Kit mit nach Whitehorse. Sie werden sich dort nicht nur von Birgit’s Freundin verabschieden, sondern auch gleich den nächsten Bekannten aus Deutschland empfangen. Nik ist wie wir vor ein paar Jahren bei den Martens in Teslin hängengeblieben. Auch er hat beim Hausbau mitgeholfen und sich als gelernter Schreiner sogar anerboten, die Türen für die Küchenschränke zu zimmern. Per E-Mail haben Birgit und er zigmal Pläne und Vorschläge ausgetauscht. Nun steht er mit acht Küchenschranktüren unter dem Arm am Flughafen. Bevor er aber nach Teslin kommt, um die Küche einzubauen, bereist er mit seiner Freundin, seiner Mutter und seiner Tante für zwei Wochen Alaska.

Martens werden nicht nur Nik’s Türen abholen, sondern den Aufenthalt in Whitehorse auch nutzen, um weiteres Baumaterial anzuschaffen und ein paar andere Einkäufe zu erledigen. Währenddessen bleiben wir in Teslin, wo wir endlich ein paar überfällige E-Mails schreiben. Wir erhalten ausserdem ein paar Telefonanrufe von Eltern und Geschwistern. Sie profitieren jeweils, wenn wir mal unter einer fixen Nummer erreichbar sind. Auch wir geniessen es, etwas länger als üblich mit ihnen zu plaudern. Es ist schon spät, als Birgit und Doug zurückkommen aber ohne Infusion und ohne die wichtigsten Erlebnisse aus diesem Sommer auszutauschen, gehen wir natürlich nicht ins Bett. Ja, es ist schön wieder hier zu sein.

 

Ein toller Hecht − Am Freitag können wir in der Bibliothek das Internet benutzen, um unsere gestern vorbereiteten E-Mails zu versenden. Plötzlich ruft Doug an und erzählt aufgeregt, dass ein Kunde auf einem fishing trip einen Rekordhecht gefangen hat. Natürlich gehen wir schnell nach Hause, um das Riesending zu begutachten. Bobby, der glückliche Angler, will ihn nach Hause nehmen und ausstopfen lassen. Um den Fang gebührend zu feiern, bleiben er, seine Schwester und deren Mann zum Nachtessen. Es gibt Hecht, Elchfleisch und Folienkartoffeln über dem Feuer.

 

Beerenkrise − Das Wochenende ist ganz den Beeren gewidmet. Am Samstag pflücken wir in der Nachbarschaft ein paar Himmbeeren. Am gleichen Abend verwöhnen wir die Familie mit Älplermaccaroni. Sie sehen zwar wegen dem orangen Cheddar Cheese etwas speziell aus, schmecken aber (fast) allen. Mattias meint sogar, das Essen sei besser, als er es erwartet hätte. Nur Kit bemängelt, dass die Zwiebeln das Essen rouinieren.

Am Sonntag machen wir einen Familienausflug zum Log Jam. Dort, so haben sich Birgit und Doug sagen lassen, gäbe es tonnenweise Heidelbeeren. Zu acht im alten Ford Pickup eingequetscht, fahren wir die holprige Schotterpiste hoch. Vom Wagen aus können wir die Beeren nicht sehen, aber einmal aus dem Auto gestiegen sind sie überall. Es handelt sich um die Lowbush Blueberries, die ganz klein und nur knapp über dem Boden wachsen. Wir fassen alle einen Topf und fangen an die Beeren zu pflücken. Kinder und Erwachsene sind hell begeistert und eifrig bei der Sache. Als wir diesen Fleck Erde abgeerntet haben, fahren wir ein Stück weiter, um an einer anderer Stelle weiterzupflücken. Wir machen gerade «Znünipause», als ein paar Leute aus Teslin den Berg hinunter kommen. Sie haben weiter oben übernachtet und dort literweise Beeren gepflückt. Ihre Ernte besteht aus Highbush Blueberries, die grösser und im Geschmack etwas anders sind als die Lowbush Beeren. Natürlich wollen auch wir diesen Top Spot auschecken und fahren weiter den Berg hinauf. Tatsächlich finden wir eine ertragreiche Stelle und schon bald haben wir ca. 20 Liter Beeren beisammen. Doug und Birgit sind dem Pflückfieber verfallen und könnten wohl noch stundenlang weitermachen. Den Kindern dagegen ist es inzwischen mächtig verleidet und zeigen ihren Frust. Kit, der bei der Hinfahrt noch von einem riesen Blueberry mitten auf der Strasse geträumt hat, kann die blauen Dinger inzwischen nicht mehr sehen. Theatralisch liefert er einen kleinen Tobsuchts-Anfall ab. Seine Laune bessert sich erst wieder als wir bei einer ehemaligen Mine vorbeikommen, wo dutzende von Gesteinsmustern fein säuberlich aufgereiht zurückgelassen wurden. Sein Sammeleifer ist zurück. Am liebsten würde er einen ganzen Sack voll Steine mit nach Hause nehmen.

Auf der Rückfahrt geniessen wir die tolle Aussicht und das schöne Abendlicht. Wieder haben wir heute etwas erlebt und gesehen, dass wir alleine nie erfahren hätten. Als wir in Teslin einfahren ist es schon dunkel. Mit der langen Brücke und den Lichtern der Häuser sieht es schon fast grossstadtmässig aus. Einmal mehr wird uns bewusst, wie schön Teslin gelegen ist. 

 

Extrem Fishing − Am Montag nimmt Doug uns und Aiyana mit auf einen Fishing Trip. Da die Hechte im See heute nicht anbeissen, fahren wir mit dem Motorboot ins Delta und ein Stück weit den Nisutlin River hinauf. Auf diesem Fluss haben wir im Juni unseren Kanutrip unternommen. Jetzt sieht die Landschaft ganz anders aus als damals. Der Wasserstand ist tiefer und lässt Sandbänke herausragen, die bei unserem Trip überflutet waren. Dort wo der Wolfs River in den Nisutlin mündet, lassen wir das Boot zurück und gehen zu Fuss entlang des Wolfs River weiter. Doug kennt einen guten Fishingspot für Grayling (Äsche), den wir nun aufsuchen wollen. Es regnet in Strömen und Doug zieht Aiyana über ihre Schwimmweste eine viel zu grosse Regenjacke über. In dieser ungewöhnlichen Kleidung mehr breit als hoch, strauchelt Aiyana durch den dichten Wald. Obwohl sie sich immer wieder im für sie auf Kopfhöhe wachsenden Gestrüpp verfängt, hinfällt oder über hohe, am Boden liegende Baumstämme klettern muss, hält sie sich ausserordentlich tapfer. Sie ist eben ein echtes Yukon-Girl, wie Doug nicht ohne Stolz erklärt (Aiyana die Jüngste, ist das einzige der Kinder, welches im Yukon auf die Welt kam). Doug geht mit der Axt voran und ist bemüht, einen einigermassen begehbaren Trail herauszuschlagen. Trotzdem warten auf dem Weg ein paar Herausforderungen. Einmal müssen wir über einen umgekippten Baumstamm balancieren, der über einen Fluss führt. Für Doug kein Problem. Mit Aiyana auf dem Buckel geht er leichtfüssig über den Stamm. Auch wir schaffen die Überquerung ohne baden zu gehen, sehen dabei aber viel wackliger aus und sind auch langsamer. Als nächstes bricht eine der Fischerruten, als sie sich in den Ästen verfängt. Und zu guter letzt gilt es noch denWolfs River zu überqueren. Da nur Doug Fischerstiefel anhat, will er uns alle drei über den recht breiten und mehr als knietiefen Fluss tragen. Uns ist es nicht recht, dass er als Lastesel hinhalten muss, aber Doug besteht darauf. Zuerst watet er alleine durch den Fluss, um zu schauen, ob überhaupt Graylings da sind. Alles i.O. Nach nur wenigen Sekunden hat Doug einen Fisch im klaren Wasser gesichtet. Es läuft denn auch alles nach Plan,nachdemuns Doug über den Fluss gebracht hat. Praktisch mit seinem ersten Wurf, hat Doug den besagten Grayling an der Angel. Danach ist allerdings finito. Kein einziger Fisch lässt sich mehr blicken und obwohl wir zu dritt unermüdlich unsere Angeln auswerfen, gibt es kein weiteres Erfolgserlebnis mehr. Es scheint als wäre heute nicht unser Glückstag im Angeln. Armer Doug; für diesen einen Fisch, den er erst noch selbst gefangen hat, hat er uns zweimal über den Fluss getragen.

Auf dem Rückweg durch den dichten Wald verlieren wir fast unsere Beute. Markus entgleitet der glitschige Fisch aus den Händen. Das tote Tier fällt in einen kleinen Fluss. Zum Glück kann ihn Markus gleich wieder herausholen bevor er weggeschwemmt wird. Den hart erarbeiteten Fisch jetzt zu verlieren, wäre zu ärgerlich gewesen.

Zurück beim Boot stärken wir uns mit einem kleinen Snack. Danach fahren wir wieder flussabwärts, wo wir unser Anglerglück nochmals bei den Hechten versuchen. Tatsächlich zappelt schon bald einer an Lulu’s Rute und später stiftet Markus noch ein paar weitere dazu. Wieder auf dem See treffen wir Josh, seinen Freund Cori und dessen Vater. Sie sind ebenfalls am fischen und werden heute in einer Cabin am See übernachten. Da Aiyana völlig durchnässt ist und friert, fahren wir zu eben dieser Cabin, um uns aufzuwärmen. Langsam machen wir uns ernsthaft sorgen um Aiyana. Sie reagiert nicht auf unsere Fragen und verweigert das Sprechen. Die Wärme in der Cabin und etwas zu Trinken tut uns allen gut. Doch Aiyana bleibt weiterhin stumm. Erst als wir anfangen sie zu kitzeln, bricht sie ihr Schweigen und fängt an zu lachen. Sie hat alles nur gespielt und es dabei genossen, wie wir um sie besorgt waren. Was für ein Schlitzohr!

Auf dem Rückweg nach Teslin ist Aiyana wieder die Alte und fängt an wie ein Wolf zu heulen. Wir stimmen in das Wolfsgeheul ein und sind nicht überrascht, als wir einen weit entfernten Hund antworten hören. Diesen Extreme Fishing Trip werden wir sicher nicht so schnell vergessen.

 

Aurora Borealis − Am nächsten Tag hilft Markus Doug dabei, im Keller des neuen Hauses die Raumaufteilungen zu framen. Lulu hat dagegen Kinderstunde. Aiyana geniesst es, jemandenum sich zu haben, der bei Verstecken, Play-Doh-Knettereien oder sonstigen Kinderspielen mitmacht.

Am Mittwoch helfen wir beide beim Hausbau mit. Während Markus und Doug im Obergeschoss arbeiten, malt Lulu unten in der Stube die Balken an. Das Arbeiten macht Spass und wir kommen gut voran. Birgit freut sich, als sie nach ihrer Rückkehr aus Whitehorse den Fortschritt sieht. Sie hat Josh in Yukon’s Hauptstadt ins Studentenwohnheim gebracht, wo für ihn ein neuer Lebensabschnitt beginnt. Er wird ab morgen in Whitehorse die Highschool besuchen. Für ihn, der bis jetzt Heimunterricht durch seine Mutter erhielt, wird es sicher eine Umstellung. Aber auch für die Eltern ist es nicht leicht loszulassen. Wir wünschen Josh jedenfalls alles Gute und sind gespannt, wie es ihm gefallen wird.

Wir bleiben bis spät in die Nacht bei den Martens sitzen. Es gibt jeweils so viel zu erzählen und diskutieren. In solchen Momenten möchten wir am liebsten in Teslin bleiben und weiter am Haus mitarbeiten. Aber Lulu hat noch einen Traum offen. Sie möchte den West Coast Trail auf Vancouver Island absolvieren. Da der Trail nur bis Ende September offen ist, werden wir morgen abfahren.

Als wir um 1:30 Uhr in unsere kleine Cabin zurückkehren, sehen wir sie endlich... jetzt, da wir schon gar nicht mehr daran gedacht haben: Nordlichter! Zuerst glauben wir noch es handle sich um Wolken in einem komischen Licht. Doch dann fangen sie an zu flackern. Zwar sind die Farben (Grüntöne) nicht so kräftig, wie man es bisweilen auf Postkarten sieht, aber das Erlebnis ist grossartig. Einmal schwächer, einmal stärker und in immer neuen Formationen flackern sie über den Himmel. Es macht uns den Abschied vom Norden noch schwerer. Noch lange liegen wir wach und überlegen, wie wir es anstellen können, den Winter hier oben zu verbringen. Doug und Birgit haben uns ihr altes Haus offeriert, wenn sie es schaffen bis Weihnachten ins neue überzusiedeln. Die Idee ist sehr verlockend aber es gibt auch viele Fragezeichen. Wie kriegen wir eine Aufenthaltsbewilligung? Was machen wir mit Nanuq? Er dürfte nicht unbedingt wintertauglich sein und muss bis im April 06 wieder ausgeführt werden. Reicht die Zeit für eine seriöse Vorbereitung auf den Winter (Holz hacken, Winterausrüstung anschaffen etc)? Wie sieht es mit Arbeitsmöglichkeiten aus und schliesslich wie würden wir die Kälte und die lange Dunkelheit ertragen?

Am Donnerstag, 1. September sagen wir mit Tränen in den Augen adieu. Wir wissen nicht wann, hoffen aber schon bald, dass wir wieder einmal hierhin zurückkehren können.