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Teslin − Unser neues Zuhause

Tlingit − Auf ihren Handelsrouten durchquerten die Inland-Tlingit’s schon früh die Gegend rund um Teslin. Bei den Tlingit’s, die an der Küste lebten, tauschten sie Felle gegen europäische Güter ein. Einige der Tlingit’s liessen sich während den Sommermonaten am Teslin Lake nieder und errichteten Fishing-Camps.

1898 erlebte Teslin im Zuge des Goldrauschs einen Boom. Es wurde eine permanente Siedlung errichtet, die als Zwischenhalt auf dem Weg zum Klondike diente. Einige der Goldsucher schafften es jedoch nie bis zu den Mienen und blieben in Teslin hängen. Und schon bald (1903) eröffnete die Hudson Bay Company eine Trading Post.

1942 wurde Teslin fast über Nacht mit Soldaten überschwemmt. Sie halfen beim Bau des Alaska Highways mit und erhöhten die temporäre Einwohnerzahl mit einem Schlag um 35’000 Menschen. Die indianische Bevölkerung wurde dabei wohl regelrecht überrumpelt. Für sie hatte die Erschliessung des Ortes nicht nur positive Seiten. Die Tlingit’s wurden mit Alkohol und Krankheiten konfrontiert, die sie vorher nicht kannten. Ihr Lebensraum und ihre Lebensweise wurden eingeschränkt und verändert. Den Eltern wurden die Kinder weggenommen, um sie in weit entfernte, englischsprachige Schulen zu stecken. Tradition und Sprache gingen dadurch zum Teil verloren.

Von den heute etwa 450 Einwohnern Teslin’s gehören fast die Hälfte den Tlingit’s an. Die Teslin Tlingit sind in fünf Clan’s unterteilt (Adler, Rabe, Wolf, Frosch und Biber). Die Clan’s treffen sich regelmässig und besprechen verschiedene Angelegenheiten. Auch in der Gemeine geniessen sie hohes Mitspracherecht. Überhaupt wird heute sehr darauf geachtet, die Ureinwohner korrekt zu behandeln. In der lokalen Schule werden allen Kindern (auch den weissen) Grundkenntnisse der Tlingit Sprache vermittelt. Das George Johnston Museum und das relativ neue Teslin Tlingit Heritage Center vermitteln Interessierten Besuchern viel Wissenswertes zur Geschichte, Kultur und Kunst der Ureinwohner. Im Jagd- und Fischereigesetz gibt es spezielle Regelungen zugunsten der Natives und die Regierung hat einen Teil des Landes wieder an die ursprüngliche Bevölkerung zurückgegeben. Wir könnten noch mehr aufzählen, wollen uns aber auf eine kleien Auswahl beschränken, um zu zeigen, wie man versucht die Tlingit’s im Dorf zu integrieren und ihnen Möglichkeiten (Ausbildung, Jobs, etc.) bietet.

Das Zusammenleben zwischen Natives und Weissen scheint denn auch meistens gut zu funktionieren. Leider gibt es aber ein paar Ausnahmen. Tlingit’s die noch mehr fordern und nichts dafür tun wollen. Was den Ureinwohnern angetan wurde ist schrecklich und nicht schön zu reden aber irgendwann muss man damit abschliessen können. Es bringt nichts, sich im Selbstmitleid zu wälzen. Was geschehen ist kann nicht rückgängig gemacht werden. Die Weissen, die heute hier leben, haben mit der Geschichte nichts zu tun und die meisten von ihnen verurteilen die Greueltaten genau so sehr. Umso mehr sollte man vergeben oder zumindest akzeptieren können und anfangen die Zukunft zu gestalten.

Wir verstehen zum Beispiel nicht, warum das George Johnston Museum, welches dank dem Engagement von Weissen aufgebaut wurde, keine Natives findet, die dort arbeiten wollen, obwohl es unter deren Bevölkerung grosse Arbeitslosigkeit gibt. So bemühen sich weiterhin die Weissen um den Erhalt und den Betrieb dieses kleinen Juwel. Noch unverständlicher ist es, dass die Tlingit’s dann trotz mangelndem Engagement in der Sache mitreden wollen. Nun, wir wollen nicht urteilen. Vielleicht sehen wir alles viel zu einfach.

 

Mit der Welt verbunden − Wie die Tlingit’s dazumal bleiben auch wir am Teslin Lake hängen. Doug, Birgit und die Kinder haben uns so herzlich in ihre Familie aufgenommen, dass wir unsere Abreise Tag für Tag hinausschieben. Dank Birgit, die Teilzeit in der Bibliothek und im Campus arbeitet, können wir an beiden Orten die Infrastruktur nutzen und an unserer Homepage arbeiten. Wir sind beeindruckt und erstaunt, wie modern der Campus ausgerüstet ist. Und auch das Kurs- und Studienangebot ist vielfältig und orientiert sich direkt an den Wünschen und Bedürfnissen der Leute. Angeboten werden zum Beispiel Kurse in den Bereichen Filmemachen, Holzschnitzen, Survival in der Wildnis oder Tauchen. Ebenfalls beliebt und erfolgsversprechend ist der Leseunterricht für erwachsene Analphabeten. Mittels Videokonferenz besteht auch die Möglichkeit, ein Studium hier in Teslin zu absolvieren. Via Bildschirm kann der Lernende mit anderen Studenten und Lehrern in weit entfernten Gemeinden und Städten kommunizieren. Man merkt, dass der Staat hier viel Geld investiert. Es wird versucht, den Leuten im Yukon die gleichen Chancen zu geben, wie jenen in den besser erschlossenen Gebieten.

Die ganze Technik muss aber auch gewartet werden, was ohne das Knowhow nicht immer einfach ist. Weil Markus ein bisschen was von Computern versteht, schaut er sich die defekten Geräte mal an. Tatsächlich gelingt es ihm, alles bis auf einen Bildschirm und ein defektes Netzteil wieder zum Laufen zu bringen.

 

Familienausflug − Am Samstag 11. Juni 2005 unternehmen wir mit der ganzen Familie eine Wanderung auf den nahegelegenen Microwave Tower. Die drei Jungs und Hund Daisy voraus, die Eltern, Aiyana und wir hintendrein. Vom Gipfel hat man eine herrliche Aussicht auf den Teslin Lake, das Dorf mit der Brücke über die Nisutlin Bay und die umliegenden Berge. Wir packen unser Picknick aus. Daisy macht sich vergebens Hoffnungen, dass einer der Landjäger für sie bestimmt ist. Joshua, Mattias und Kit lassen sich nicht viel Zeit und machen sich schon früh an den Abstieg. Die Comicshefte im Auto sind für sie verlockender als die Aussicht und das Wandern mit den Erwachsenen (Lulu: «Bin ich mittlerweile schon so alt um zu den Erwachsenen gezählt zu werden?!»). Ganz nach dem Motto, die Eltern tragen’s nach, lassen Josh und Mattias ihre Jacken bei uns liegen. Die langen Gesichter sind gross, als Doug ihnen beim Parkplatz eröffnet, dass sie nochmals rauf müssten, um die Jacken zu holen. Und wie gross ist erst die Erleichterung, als sie die Jacken nach der ersten Kurve am Wegrand finden?! :-)

 

Schade − Auf der Rückfahrt nach Teslin schauen wir (Markus und Lulu) beim Heritage Center vorbei. Obwohl die Saisoneröffnung noch nicht stattgefunden hat, lässt man uns trotzdem einen ersten Blick auf die Ausstellung werfen. Unser Hauptinteresse liegt aber sowieso bei den fünf Totempfählen vor dem Gebäude. Am meisten interessieren uns aber sowieso die fünf Totempfähle vor dem Gebäude. Sie symbolisieren die fünf Clans der Teslin Tlingit’s. Keith Wolf Smarch, ein Tlingit, den wir bei den Martens kennen gelernt haben, hat massgeblich daran mitgearbeitet. Keith ist ein im Yukon bekannter Holzschnitzer. Im September 05 reisen er und ein paar andere Künstler aus dem Yukon in die Schweiz nach Zürich, wo sie einige ihrer Werke austellen werden. Im Moment arbeitet Keith an einem Adlerkopf, der das neue Haus der Martens schmücken wird. Für Keith, der sonst ausschliesslich abstrakte, symbolreiche, indianische Kunstwerke schnitzt, ist dieser real aussehende Adlerkopf eine neue Herausforderung.  

Das Heritage Center ist sehr modern und gross aber die eigentliche Ausstellungsfläche eher dürftig. Man könnte die Ausstellung bestimmt grösser, informativer und vor allem lebendiger gestalten. Für Künstler wie Keith würde das Center zudem eine ideale Plattform bieten. Wir lassen uns aber aufklären, dass dies aus «politischen» Gründen, Spannungen und Missgunst innerhalb der Tlingit’s, so schnell wohl nicht geschehen wird.

 

Teslin Wal Mart − Eine Attraktion nicht touristischer Art ist die Müllhalde von Teslin. Für Schweizer-Augen wirken die Abfallhaufen schrecklich und beschämend. Riesige Türme von Blech, alten Autos, Eisen, Kühlschränken, Fässern etc. türmen sich nach Gütern getrennt über- und nebeneinander. Auf Grund der Distanzen ist diese Art von Müllentsorgung aber irgendwie einleuchtend. Schliesslich kann man nicht für jeden Müllsack ins 200 km entfernte Whitehorse fahren. Doug hat uns erzählt, dass er hier schon oft gute Produkte gefunden hat, die er mit geringem Aufwand reparieren und wiederverwerten konnte. In der Familie ist die Dump Station denn auch als Teslin Wal Mart bekannt :-)

Natürlich lockt die Müllhalde, insbesondere die Haushaltsabfälle, auch Tiere an. Möwen und Raben kreisen ununterbrochen über der Dump Station und schliesst man die Augen, wähnt man sich wegen ihres Geschreis und Gezetters irgendwo an einem Strand. Die Düfte ziehen aber auch andere Tiere an. Etwas unterhalb der Müllhalde sehen wir eine Schwarzbärenmutter mit ihren zwei Jungen. Sie verschwinden bei unserem Auftauchen schnell im Unterholz. Wir wissen nicht, ob die Bärenfamilie nur zufällig hier durchspaziert ist oder ob sie die Abfallhalde als Futterplatz aufsuchte. Wir hoffen auf ersteres. Bären, die sich an den Konsum menschlicher Nahrungsmittel und Abfälle gewöhnt haben, werden oft zu einem Problem resp. zu einer Gefahr für Menschen und müssen beseitigt werden.

 

Nichts ist unmöglich, Toyota − Obwohl wir die Homepage nach ein paar Arbeitstagen auf den aktuellen Stand gebracht haben, bleiben wir weiterhin in Teslin. Wir fühlen uns hier inzwischen beide zu Hause. Es besteht absolut keine Gefahr, dass es uns in dem kleinen Kaff langweilig wird. Bei vier Kindern läuft immer etwas und eine helfende Hand kann auch immer gebraucht werden. So gehen wir zum Beispiel mit Hund Daisy spazieren oder fahren mit Doug in den Wald, um Holz zu schlagen. Nebst den Fishing-Trips ist der Verkauf von Feuerholz eine weitere Einkommensquelle für Doug. Bevor er diese Tätigkeit aufnehmen konnte, musste er allerdings sechs Jahre warten. So lange dauerte es, bis er die entsprechende Bewilligung fürs Abolzen toter/kranker Bäume bekommen hatte. Auch hier im Yukon gibt es Regeln. Gemäss den Einheimischen sind die Freiheiten längst nicht so gross, wie man es gemäss Klischee erwarten würde. Schade, dass man auch hier Leute mit Ideen und Wille durch Bürokratie blockiert.

Im Wald kommt Doug’s kleiner Toyota Pickup voll zum Tragen. Das geländegänige und wendige Fahrzeug kann zwischen den Bäumen und Sträuchern hindurch bis zur Stelle gefahren werde, wo geholzt wird. Mit einem am Pickup befestigten Drahseil können wir aber auch grössere Bäume, die tiefer im Wald drin liegen, herausziehen. Ist ein Baum erst mal mit der Motorsäge gefällt, schneidet Doug die Stämme in Stücke. Markus und Lulu sammeln diese zusammen und tragen sie zu den Ladeflächen der beiden Pickup’s (Nebst dem kleinen Toyota haben wir auch Birgit’s alten Ford Pickup dabei). Dank unserer Hilfe sind die Ladeflächen viel schneller gefüllt als gewöhnlich, wenn Doug alles alleine zerstückeln und zusammentragen muss. Die Arbeit macht total Spass, obwohl sie recht streng ist und uns die Mücken plagen.

Sind die beiden Ladeflächen voll, fahren wir zum Campground am See, wo das Feuerholz bestellt wurde. Danach fängt das Ganze wieder von vorne an... zurück in den Wald, Holz schlagen, zerstückeln, einsammeln und zum Campground bringen. Auf einer unserer Fahrten rennt ein Schwarzbär vor Doug’s Auto über die Strasse und flüchtet sich auf einen Baum. Wir, die im Ford hinterherkommen, können die ganze Szene beobachten. Verängstig krallt sich der Schwarzbär am Stamm fest und schaut sich um. Erst als er sicher ist, dass von uns keine Gefahr ausgeht, klettert er vom Baum herunter und verschwindet im Wald bei Muckluk’s Annies Campground. Hier haben wir selbst vor ein paar Tagen übernachtet und im Wald Holz für’s Grillieren gesammelt. Wahrscheinlich herrscht auf dem Campground schon bald grosse Aufregung, wenn Besuch vom Meister Petz kommt. 

 

Infusion time − Nach getaner Arbeit geniessen wir jeweils gemeinsam einen Tee oder wie wir neuerdings zu sagen pflegen, eine «Infusion». Birgit liess sich nämlich kürzlich von einem Koch belehren, dass richtiger Tee aus Teeblättern hergestellt werden muss. Früchtetees, die diesen Anspruch nicht erfüllen, werden Infusion genannt. Pardon, pardon!! ;-) Während unserer täglichen Infusion gibt es immer jede Menge zu diskutieren und zu lachen. Oft sorgen auch die Kinder für beste Unterhaltung. Die Sprüche und das spitzbübische Grinsen vom 8-jährigen Kit, treiben uns manchmal fast die Tränen in die Augen und wir sind erstaunt über seinen grossen Wortschatz. Als Birgit ihn mal darauf aufmerksam macht, sich für etwas zu bedanken, meint er nur: «Why shall I say thank you? ... Does this make you more cooperative?» :-)

Am Abend verwöhnt uns Birgit oft mit ihrer guten Küche. Statt wie bei uns Rindfleisch oder Poulet gibt es Fisch (Forelle, Hecht, Grayling) oder Elchfleisch in verschiedensten Variationen (Elchcurry, Elchchili, Elchsteack, etc.). Doug geht jeden Herbst auf Jagd, um einen Elch zu schiessen. Das Fleisch des mächtigen Tiers reicht für die ganze Familie bis zum nächsten Jahr.

 

Happy birthday − Am Dienstag 14. Juni 2005 ist der 70. Geburtstag von Mat, einem engen Freund der Famile Martens. Mat, ein Tlingit, schaut fast täglich ein paar mal kurz vorbei. Meistens ist er dabei eher schweigsam, zumindest gegenüber uns. Zur Feier des Tages lädt uns Birgit alle in Muckluk’s Annies zum Pancake-Frühstück ein.

 

The eagle has landed − Vor gut zwei Jahren hat Doug begonnen, ein neues Blockhaus für die Familie zu bauen. Oft alleine und teils mit Hilfe von Freunden und Familie hat er schon viel erreicht. Trotzdem bleibt bis zum geplanten Einzug im Spätherbst noch viel zu tun. Auch wir lassen uns darum gerne zur Mithilfe einspannen. Vier zusätzliche Stützpfeiler im Obergeschoss sollen helfen, das Gewicht des Daches auf die tragenden Pfeiler und Wände zu verteilen. Bevor die Holzbalken eingebaut werden können, müssen sie entrindet und abgeschliffen werden. Eine staubige Angelegenheit. Aber auch das schreckt die zahlreichen Mücken nicht ab.

Im nächsten grossen Schritt gilt es die zwei rund 8 Meter langen Holzstämme, welche den Ridgepole (Firstbalken) bilden, aufs Dachgerüst zu hieven. Mittels Seilwinden, viel Kraft und Geduld gelingt uns dieses nicht ganz einfache Unterfangen. Das Aufrichtefest kann am Sonntag stattfinden.

 

Jingle Bells im Sommer − Als Dankeschön und aus Freundschaft nimmt uns Doug zwei weitere Male mit zum Fischen. Da unsere Angellizenz, die wir für die Dauer des Kanutrips gelöst haben, abgelaufen ist, müssen wir eine neue kaufen. Leider ist es nämlich nicht möglich die bereits vorhandene Lizenz in eine Saisonlizenz umzuschreiben und nur den Aufpreis zu zahlen.

Beim ersten Fishing trip, der mit sehr viel Wind und Wellen verbunden ist, begleiten uns Mattias und Kit. Obwohl wir zu viert versuchen, ein Nachtessen an Land zu ziehen, kommen wir mit leeren Händen zurück. Zwar haben wir keinen Fisch aber dafür einen Bären am Ufer gesehen. Am nächsten Tag haben wir mit einem leicht anderen Team (Aiyana ersetzt Mattias) weit mehr Erfolg. Innert relativ kurzer Zeit fangen wir vier grosse Seeforellen. Damit sollte der Bedarf fürs Aufrichtfest abgedeckt sein. Einmal mehr hat Lulu den grössten Fisch geangelt. Mit rund 80 cm ist er zu gross, um ihn behalten zu können und er muss deshalb wieder freigelassen werden. Aiyana und Kit sind ebenfalls erfolgreich und ganz begeistert. Auf dem Rückweg singen sie beide ihre eigene Version von Jingle Bells.

 

Crème de la crème − Am Freitag, 17. Juni 2005 gehen wir zur Graduation von Aiyana. Es ist der letzte Schultag für die Kinder im Dorf und dies wird mit einer Veranstalltung in der Turnhalle gefeiert. Wie Uniabgänger erhalten die Kindergärtner eine Mütze und ein Zertifikat. Stolz trägt Aiyana die neue Kopfbedeckung und auch für die Eltern ist dies ein ganz besonderer Moment. Aiyana ist nämlich die erste der Marten’s, die in Teslin den offiziellen Schulunterricht besucht. Alle drei Buben werden zu Hause im sogenannten Home Schooling ausgebildet. Birgit, eine ausgebildete Kindergärtnerin, unterrichtet die Kinder und schaut zu, dass die Hausaufgaben erledigt werden.

Man sagt uns, dass das Niveau an der Schule relativ tief ist. Viele Kinder − vor allem Tlingit’s − wachsen unter schwierigen Umständen auf und erhalten kaum oder keine Unterstützung von zu Hause. Wenn man allerdings die heutige Feier mitverfolgt, erhält man den Eindruck, dass es sich hier wirklich um Top-Stundenten handeln muss. Pro Klasse und Unterrichtsfach werden einzelne Schüler als «Student of the Month» oder als «Student of the Year» ausgezeichnet. Am Schluss wurde wohl fast jedes Kind mindestens einmal aufgerufen und mit einer Lobeshymne überhäuft. Sogar die Präsenz im Unterricht wird prämiert. Wahrscheinlich dient dieses ganze Prozedere aber auch einfach der Motivation.  

 

Moskito Alarm − Am Nachmittag helfen wir mit, für das George Johnston Musuem Teile einer ehemaligen Funkstation in der nähe von Teslin zu suchen. Heute ist die Stelle mit Sträuchern und Bäumen überwachsen und nur schwer zugänglich. Es gelingt uns zwar einige grössere Teile aus dem Dickicht zu ziehen aber ohne Motorsäge, mit der wir uns einen Weg bahnen könnten, kommen wir nicht weit. Wir müssen die Übung abbrechen, obwohl es vermutlich noch einiges zu entdecken gäbe. Extrem traurig sind wir nicht darüber, haben uns doch die hungrigen Moskitos arg zugesetzt.

In Teslin sind die Moskitos überhaupt sehr zahlreich. Nachts kann man oft kaum einschlafen und am Morgen ist man mit neuen Stichen übersät. Zwar versuchen wir mit sogenannten Mosquito Coils − eine Art Räucherstäbchen − den Tieren etwas Herr zu werden, aber deren Wirkung ist oft nur von kurzer Dauer. In unserer Holzcabin finden Plaggeister immer eine Ritze, wo sie hineingelangen. Und im Haus der Martens ist fast immer mindestens eine der beiden Türen offen. Rennt eines der Kinder zur Hintertüre raus, kommt das nächste bestimmt schon wieder vorne herein. Und draussen ist man den Mücken eh hilflos ausgesetzt. Antibrumm und Konsorte scheinen hier machtlos. Tröstlich ist einzig, dass es allen gleich geht. Überall wird über die Biester geklagt. Um wenigstens in Ruhe schlafen zu können, werden die Einheimischen sehr erfinderisch. Jemand lässt die ganze Nacht den Ventilator neben dem Kopf laufen und die Martens schlafen nicht im Bett sondern bauen im Wohnzimmer und draussen ihre Zelte auf.

Die Mücken im Norden sind nicht nur zahlreicher, sie sind auch grösser als bei uns. So gross, dass man ihren Aufprall auf der Bettdecke hört, wenn sie durch die Mosquito Coils beduselt, abstürzen. Wobei man fairerweise auch anmerken muss, dass es hier weder Strassen- noch sonstigen Lärm gibt, der ablenkt.

 

Jä − Am Samstag, 18. Juni 2005 trifft Lulu’s Cousine Jacky mit ihrem Freund Rolf in Teslin ein. Sie sind ebenfalls in Canada in den Ferien. Während rund drei Wochen reisen sie mit dem Camper durch den Westen und Norden Canadas. Bei Tee und Cookies tauschen wir einige Reiseerlebnisse aus. Leider zieht es die beiden bereits am frühen Nachmittag weiter Richtung Whitehorse.

 

Schmarotzer − Einmal nehmen uns Doug und Birgit zu einem Anlass der Gemeindepolizei mit. Ehrlich gesagt, können wir uns nicht mehr erinnern, um was es bei der öffentlichen Diskussion ging. Im Gedächnis bleibt uns aber das abschliessende Mittagsbuffet und dass wir uns in dem Saal wie Exoten fühlten.

 

Ein grosser Tag für Doug − Am Sonntag ist es endlich soweit. Doug und Markus heben den Ridgepole die letzten Meter auf die Dachträger und verkeilen ihn. Doug ist die Freude und der Stolz anzusehen. Für ihn ist dieser Schritt ein wichtiger Moment. Von nun an überwacht der von Keith geschnitzte und in der Zwischenzeit bemalte Adler an der Spitze des Ridgepole die Eagle Bay.

Eigentlich wollte Doug das ganze Dorf zum Aufrichtefest einladen, doch dann wäre es im Haus etwas zu eng geworden und leider ist es ausgerechnet heute draussen ungemütlich und regnerisch. Trotzdem wird gefeiert. Den einige wichtige Freunde sind der kurzfristigen Einladung gefolgt und geniessen nun zusammen mit den Marten’s und uns frischen Fisch und Elch-Chilie.

 

Alles hat ein Ende − Ja, über das Leben bei der Familie Marten’s in Teslin gäbe es noch so viel zu berichten. Wir alle sind uns inzwischen richtig ans Herz gewachsen. Josh, der seinen letzten Sommer in Teslin verbringt, bevor er ab Herbst in Whitehorse die Highschool besuchen wird. Mattias drei Jahre jünger, handwerklich eher ein Tolpatsch aber ein Genie in Mathematik. Er liest aber auch das Lexikon Begriff für Begriff durch und kann bei Fragen, die während unserer Diskussionsrunden auftauchen, oft die richtige Antwort liefern. Wir hoffen, dass er hier in Teslin oder andwerso einen Weg findet, sein Wissen zu fördern und etwas daraus zu machen. Und dann die beiden Jüngsten... Kit, der Blondschopf, der uns stark an den Lausbub Michel erinnert und sich selbst für die kleinsten Tiere interessiert. Und Lulu’s Goldschatz Aiyana, bei der sie oft nicht zuschauen kann, wenn sie in Gummistiefeln auf dem Dachgerüst umherklettert. Ja, die Rasselbande hat es wirklich in sich. Sei es wenn sie im Kuh- und Tigergewand auf dem Trampolin herumtollen, der Katze Popcorn den Schwanz ein bisschen anbrennen, in Socken rund ums Haus springen oder in denselben auf Bäume klettern. Aber auch hier sind die Kids von Computerspielen fasziniert. Da zu Hause der Strom allerdings über einen Generator erzeugt wird und daher nicht unbegrenzt ist, müssen sie hierfür in die Biblothek ausweichen. Um sich für eines dieser Spiele von seinen Brüdern einen virtuellen Speer zu verdienen sprang Kit sogar in den eiskalten See.

Unsere Bewunderung gilt aber auch den Eltern dieser Kinder. Birgit’s Lachen ertönt häufig und kommt von Herzen. Dabei ist das Leben für sie sicher nicht immer einfach. Aus Deuschland an fliessendes und warmes Wasser gewöhnt, musste sie sich hier völlig umstellen. Das Wasser muss in Kanistern geholt und aufgewärmt werden. Im neuen Haus soll damit aber endlich Schluss sein.

Doug ist ein Naturmensch durch und durch. Er hat hier im Norden seine Welt gefunden. Das merkt man, wenn man mit ihm zum Fischen hinausfährt oder am Abend um’s Feuer hockt. Er strahlt eine grosse Zufriedenheit und Dankbarkeit aus. Besonders faszinieren tut uns seine Art der Elchjagd. Dazu zieht er nicht etwa mit dem Pickup und einer modernen Waffe los, sondern im Kanu und mit einer Armbrust und einem alten Gewehr. Damit muss er den Elch dann möglichst mit dem ersten Schuss treffen, da das Nachladen nicht so schnell von statten geht wie mit den modernen Waffen. Nach dem Töten muss Doug den Elch zerlegen und in sein Kanu schaffen. Dabei sollte er möglichst schnell arbeiten, damit der Geruch von Frischfleisch keinen Bären anzieht. Ist alles verladen, muss Doug die schwere Fracht nach Hause rudern. Je nachdem wie lange es dauert, bis ihm ein Elch vor die Flinte läuft, ist Doug bis zu einer Woche unterwegs.

«Unterwegs sein» ist unser Stichwort. Wir werden morgen nach drei Wochen Aufenthalt in Teslin wieder aufbrechen... auch wenn der Abschied schmerzt.