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Hoffnung und Horror südlich von Anchorage

Schnäppchenjagd − Über Kenai fahren wir nach Soldotna. Noch einmal kaufen wir im billigen Three Bears ein und schauen im Safeway nach, ob die Blueberry Aktion noch läuft. Leider ist dem nicht so und unsere beiden letzten Körbchen sind schon leer :-(. In verschiedenen Secondhand Läden suchen wir vergeblich einen Ersatz für unseren im Katmai National Park abhanden gekommenen Feldstecher aufzutreiben. Dafür deckt sich Lulu für $ 4 mit drei John Grisham Büchern ein. Ob und wann wir zum Lesen kommen, ist allerdings eine andere Frage.

Am Abend fahren wir auf dem Sterling Highway Richtung Hope. Unterwegs passieren wir ganze Felder mit Fireweed, einer pinkfarbenen Pflanze. Auch der Himmel hat in der Abendsonne einen rötlichen Touch angenommen. Es ist bereits dunkel, als wir einen geeigneten Ausstellplatz für die Nacht finden.

 

Klatsch und Tratsch − Am nächsten Morgen nehmen wir die restlichen Kilometer nach Hope unter die Räder. Dieses kleine Örtchen mit dem schönen Namen «Hoffnung» wurde uns von Joy und Michael empfohlen. Sie haben beide eine zeitlang hier gelebt. In Hope wurde bereits 1888, also rund 10 Jahre vor dem grossen Klondike Gold Rush, das Edelmetall entdeckt und ein Goldrausch ausgelöst. Es ist somit die älteste Goldgräberstadt Alaskas. Auf dem Höhepunkt ihres Goldrausches erreichte die Einwohnerzahl 10’000; heute beträgt sie nur noch 130! Das wir ausgerechnet in diesem kleinen Nest ein bekanntes Gesicht treffen würden, hätten wir nicht erwartet. Kaum sind wir im Ort angekommen, hält ein entgegenkommender Jeep neben uns an. Es ist einer der Velorennteilnehmer, den wir vor ungefähr einem Monat in Haines Junction getroffen haben, an. Wer sagt’s denn? Die Welt ist klein!

Joy hat uns beauftragt, Bonnie einen Gruss auszurichten. Die Bar, in welcher Bonnie arbeitet, ist bei unserer Ankunft allerdings noch geschlossen. Wir schauen uns deshalb zuerst im kleinen Souvenirladen, in der Kunsthandwerksausstellung bei der Bibliothek und im historischen Museum um. Das Museum ist gratis und Freiwillige stehen Red und Antwort. Der Mann, der heute Dienst hat, kann uns viel über das Leben im kleinen Hope und übers Goldschürfen erzählen. Er besitzt selbst einen Claim und schätzt, dass wenn er hart arbeiten würde, dort pro Tag Gold im Wert von ca. $ 200 gewinnen könnte. Für ihn und seine Frau ist das Goldschürfen allerdings nur ein Hobby. Sie verkaufen es nicht, sondern hüten es lieber als einen Notgroschen.  

Zurück bei der Bar hören wir, wie jemand auf der Terasse von zwei Fremden erzählt, die mit einem komischen Auto ins Dorf gekommen sind und nach Bonnie suchen. Hope ist winzig aber der Klatsch ist gross. In der Bar treffen wir dann aber nicht auf Bonnie, sie fängt ihre Schicht erst um vier Uhr an, sondern auf eine andere lustige Truppe. Darunter zwei Globetrotter. In 18 Monaten sind sie durch die «ganze» Welt gereist. Sie laden uns ein, bei ihnen vorbei zu schauen, falls wir nach Girdwood fahren.

 

4:20 − Nach einer Cola verlassen wir die Bar und Hope und fahren nach Whittier. Dabei kommen wir wieder beim Portage Glacier vorbei, wo diesmal immerhin ein paar Eisberge im davorliegenden See schwimmen. Im Vsitor Center hat es ein paar interessante und informative Ausstellungen zur Region. Per Telefon nehmen wir von hier aus auchdie Reservation für den Wonder Lake Campground im Denali Nationalpark vor. Leider sind alle Daten im Juli schon ausgebucht. Wir reservieren daher vom 6. − 9. August. Das erlaubt uns etwas mehr Zeit in Anchorage und auf dem Weg zum Park zu verbringen. Jetzt muss an den besagten Daten nur noch das Wetter stimmen, damit wir den oft in Wolken gehüllten Mount McKinley sehen können.

Um nach Whittier zu gelangen, muss man einen einspurigen Eisenbahntunnel durchfahren. Der Tunnel wird nach wie vor auch von der Eisenbahn genutzt, weshalb es pro Richtung nur einmal pro Stunde für 15 Minuten befahrbar ist. Die Tunnelgebühr beträgt $ 12. In Whittier fahren wir gleich zum Buckner Building. Das ehemalige Militärgebäude ist heute total heruntergekommen. Jason hat uns empfohlen trotzdem reinzugehen: «It’s creepy!!». Tatsächlich lässt die Botschaft im Eingangsbereich nichts Gutes erahnen: «You will die @ 4:20» (Du stirbst um 4:20 Uhr). Ein besorgter Blick auf die Uhr zeigt uns, dass wir demnach nicht mehr viel Zeit haben. Mit Stirnlampe bewaffnet wagen wir uns trotzdem rein. Es geht durch düstere, verlassene Gänge und Räume. Fast alle Fenster sind eingeschlagen, wovon auch die grossen Scherbenhaufen am Boden zeugen. Wasser tropft an verschiedenen Stellen von der Decke und bildet grosse Pfützen. Ausserdem ist beim Herumlaufen grosse Vorsicht vor Spalten im Boden und von der Decke herunterhängendenRohren angebracht. Teilweise kann mannoch erkennen, wo Schlafbereiche, Duschen, WC’s und die Küche untergebracht waren. Wir wandern hin und her, Treppe rauf und runter. Jason, der sich damals alleine nicht zu weit ins Gebäude vorwagte, hatte recht. Es ist wirklich cool und mal was ganz anderes als die üblichen Touristenattraktionen. Obwohl wir immer wieder Hinweise auf das gruselige Ereignis um 4:20 Uhr lesen können, gelangen wir wieder wohlbehalten nach draussen.

 

Alle unter einem Dach − Als nächstes wollen wir uns die Begich Towers anschauen. Diese wurden vor Jahren ebenfalls vom Militär gebaut. Heute wohnen in diesem Komplex fast 90% der Einwohner des Ortes. Da kennt jeder jeden und das ziemlich gut ;-). Vermutlich ist es der einzige Ort, wo Drogendealer, Kriminelle und Polizei im gleichen Gebäude zu Hause sind. Im Gebäude sind nämlich auch die Verwaltung, die Polizei, die Klinik, die Kirche, ... und eine Bäckerei untergebracht.

Wir fahren mit dem Lift ein paar Stockwerke hoch, um uns einen Eindruck von diesem Bau zu verschaffen. Die Gänge sind kahl und geblich gestrichen. Auf beide Seiten der langen Gänge zweigen Wohnungen ab. Die Atmosphäre ist nicht sehr einladend und so fahren wir wieder runter. Ein Aushang im Gang macht uns darauf aufmerksam, dass die hauseigene Bäckerei sonntags immer Pizza’s verkauft. Was für ein Glück, dass heute Sonntag ist! :-) Obwohl der Laden eigentlich schon geschlossen hätte, macht uns die Betreiberin Nancy mit Freude eine Pizza. Wir nehmen im kleinen Raum Platz und warten. Dabei kommen wir mit einem älteren Herrn ins Gespräch. Er lebt schon viele Jahre hier und kann uns einiges über das Leben im Hochhaus erzählen. Wir erfahren zum Beispiel, dass die Schule, die gleich auf der anderen Strassenseite liegt, durch einen unterirdischen Gang mit dem Hauptgebäude verbunden ist. Im Winter kann es hier so kalt und stürmisch sein, dass man den Kindern den Gang über die Strasse nicht zumuten kann. Die Gefahr vom Wind davongefegt zu werden, wäre schlicht zu gross. Die armen Kinder, es wird wegen dem kurzen Schulweg und dem schützenden Tunnel schwer sein, eine Ausrede für die verspätete Heimkehr zu finden. ;-).

Das schlechte Wetter und der viele Nebel waren damals auch der Grund, warum das Militär Whittier für seinen Stützpunkt ausgesucht hat. Für Feinde ist es nur schwer zu entdecken.

Inzwischen ist unsere Pizza ready und die restlichen Gäste sind gegangen. Einzig Nancy’s Familie ist noch anwesend. Wir kommen uns vor, wie in einer richtigen italienischen Familie. Es wird gespiessen, gelacht und vor allem viel geredet. Zum Dessert erhalten wir das letzte Stück Schokoladekuchen. Kugelrund und mit einer Einladung von Nancy’s Bruder, ihn auf seiner Ranch in Arizona zu besuchen, verlassen wir die Bäckerei «the Rolling Pin».

Durchs Tunnel fahren wir wieder zurück und suchen uns im Portage Valley einen Übernachtunsplatz. Die $ 12 waren den Besuch im Buckner Building und den lustigen Abend mit Nancy & Co. wert. Ansonsten hat Whittier als Ort keinen Charme, es sei denn, man hat Wetterglück und sieht das Bergpanorama. Als Ausgangspunkt für  Boots- und Kajaktouren in den Prince William Sound ist Whittier bei Touristen jedoch beliebt.