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Heiratsantrag in Downtown Chicken

Bonnie & ... − Am nächsten Morgen stellen wir fest, dass wir versehentlich die Landkarte von Nicki und Gerhard eingepackt haben. Wir fahren deshalb nochmals zurück ins Dorf und klappern die Campgrounds ab. Bereits beim zweiten werden wir fündig. Sie konnten sich bei Jim und Bonnie dazustellen, die mit einem riesigen RV unterwegs sind. Wir erhalten eine Tour durch dieses fahrende Haus und sind beeindruckt. In einem solchen Mobil fehlt es einem wirklich an nichts. Für Jim und Bonnie ist es aber auch ihr ständiges Zuhause. Den Sommer verbringen sie damit im Norden, im Winter fahren sie in den Süden. Die beiden sind supernett und grosszügig. Zuerst verraten sie uns den Code zu den WC- und Duschanlagen auf dem Campground und als wir schliesslich alle frisch geduscht wieder vor ihnen stehen, laden sie uns auch noch zu einem Frühstück im Restaurant ein. Die Österreicher auf dem Velo, die Schweizer im Land Rover und die Amis im RV inklusive einem Jeep (für Touren in unwegsamen Gelände), den sie auf einem Trailer hinterherziehen. Trotz den so unterschiedlichen Reisearten verstehen wir uns sehr gut. Das Frühstück mit Bratkartoffeln, Ei, Speck und Pfannkuchen schmeckt. Nur Nicki und Gerhard fügen ihm mit reichlich Ketchup noch etwas mehr Geschmack zu. Nun, sie können für die nächsten Etappen ein paar extra Kalorien wohl gut vertragen.

 

Der Kampf der Natur − Nach einem Gruppenfoto vor dem Restaurant machen wir uns alle wieder einzeln auf den Weg. Wir wollen über den Taylor und Top of the World Highway nach Dawson City fahren. Leider ist auch hier der Rauch unser ständiger Begleiter. Die von anderen Reisenden so viel gerühmte Strecke präsentiert sich uns unter einem grauen Schleier. Schade, denn gerade um diese Jahreszeit wären hier die Herbstfarben besonders schön. Viele abgebrannte Baumskelette säumen die Strasse. An einigen Stellen konnte sich die Natur in der Zwischenzeit erholen. Sträucher und kleine Tännchen erkämpfen sich einen Platz zwischen den Überresten des abgebrannten Waldes. An anderen Orten, wo die Brände noch nicht so weit zurückliegen, ist es grösstenteils kahl. Nur ein paar wenige Grasbüschel setzen vereinzelte Farbtupfer.

 

«Willst Du micht heiraten?» − Wir fahren in Chicken Alaska ein. Wie so viele Orte in Alaska und dem Yukon verdankt auch dieses verlassene Nest seine Entstehung dem Goldrausch. Heute besteht der Ort aus einem kleinen Postbüro und der Downtown. Sofern man bei den drei alten Gebäuden, in welchen der Souveniershop, der Saloon und ein Cafe untergebracht sind, überhaupt von Downtown sprechen kann. Nicht zu vergessen sind die vier Plumpsklos, die man je nach Windrichtung problemlos mit der Nase orten kann. Chicken wurde ursprünglich nach dem Ptarmigan (Alpenschneehuhn) benannt. Da einige Goldsucher diesen Namen nicht aussprechen konnten, wurde er auf Chicken vereinfacht. Der Goldrausch ist längst vorbei, trotzdem kehren im Sommer immer wieder ein paar wenige Goldgräber hierhin zurück, um ihr Glück zu versuchen. Während dieser Zeit beträgt die Einwohnerzahl etwa 30, im Winter schrumpft sie auf 15 plus ein paar Hunde, wovon einer nur noch drei Beine hat. Die Post wird zweimal wöchentlich mit dem Flugzeug eingeflogen. Wegen des dichten Rauches ist dies momentan nicht möglich. Der Pilot muss daher die Strecke im Auto zurücklegen, was ihm natürlich mächtig stinkt.

Wenn man in Chicken ist, sollte man unbedingt dem Saloon einen Besuch abstatten. Decke und Wände sind mit Hüten, T-Shirts und Unterwäsche geschmückt, die frühere Besucher hinterlassen haben. Nicht nur die Dekoration, auch das Volk in diesem Schuppen ist speziell. Die Abgeschiedenheit tut offensichtlich nicht allen gut. Lulu schliesst «Freundschaft» mit einem alten Goldgräber, dessen Hüftgelenk, wie er stolz erklärt, aus einer echten Titanium-Plastik Konstruktion besteht. Seine Versprechungen auf ein Leben in Saus und Braus stossen bei Lulu allerdings auf taube Ohren. Sie lehnt seinen Heiratsantrag ab. Etwas beleidigt setzt er sich trotz angetrunkenem Zustand in sein Auto und fährt nach Hause. Auf dem Beifahrersitz liegt die heute per Post erhaltene und noch eingepackte Gummipuppe.

 

Probleme an der Grenze − Im Saloon lernen wir auch Harvey kennen. Im Winter lebt er in Atlin (British Columbia), im Sommer überall und niergends. Wir führen ein gutes Gespräch über das Reisen, das Leben und unsere Träume. Wir sind erstaunt, wie ähnlich unsere Erfahrungen und Ansichten trotz des beträchtlichen Altersunterschiedes sind. Als zwei Touristenbusse das kleine Dorf überschwemmen und Shop und Saloon unsicher machen, kommt Harvey in Fahrt und entpuppt sich als grossartiger Touristenunterhalter. Gekonnt nimmt er einige von ihnen auf die Schippe. Die Reaktionen darauf fallen unterschiedlich aus. Während einige Harvey’s Sprüche zu ignorieren versuchen, sorgen sie bei anderen Leuten aus der Gruppe und bei uns für heiteres Lachen.

Eigentlich wollten wir am Abend noch etwas weiter fahren und irgendwo vor der Grenze zu Canada übernachten. Die Tankstellenbesitzerin rät uns allerdings davon ab, weil auf dieser Strecke praktisch keine Pullouts zu finden sind. So kehren wir nach einem Nachtessen aus unserer Boardküche wieder in Saloon zurück, wo man uns etwas verduzt anschaut, haben wir uns doch vorhin bereits von hier verabschiedet. Wir geben den Leuten an, dass man uns nicht über die Grenze liess. Es ist lustig all die entsetzten und fragenden Gesichter zu sehen. Erleichtert nehmen sie die Auflösung des Rätsels auf.